Porträt: Der Tag im Arbeitsleben des Koordinators
Er war der erste auf dem Gelände, von dem aus die RHM-Gruppe mittlerweile weltweit agiert. Daher bezeichnet sich Klaus Gehring selbstironisch als die „Mutter der Nation“. Zuständig für die Organisation von Lager und Handel, löst er Probleme bevor sie entstehen.
Morgens um 6 Uhr beim Zähneputzen kommt der erste Anruf rein. Dann öffnet der Platz, die Laster stehen Schlange vor dem Wiegemeister. Früher klingelte sein Handy in einer Tour durch bis 20 Uhr. Anfangs war Klaus Gehring allein in der Verwaltung. Wo heute die Teeküche ist, war sein Arbeitsraum. Die Geschäftsleitung saß in Köln. Ihn schickten sie vor, um den Hof in Mülheim zum Laufen zu bringen. 1992 gab es hier nichts, erinnert er – nicht mal einen Schraubenschlüssel. Der Platz diente einem Subunternehmer der RHM als Speditionslager. Er erhielt einen Untermietvertrag. Klaus Gehring kannte die Region aus seiner Lehrzeit bei einem Schrotthändler. Damals mussten Lehrlinge sofort mitanpacken. Es gab zwar Ausbildungspläne, aber man wuchs einfach rein ins Geschäft. So lernte er rasch, selbstständig zu arbeiten. Nach und nach kannte er alle Entfallstellen in der Region.
Gegenseitiges Vertrauen sei die Basis in seinem Beruf, erklärt Klaus Gehring. Viele brachten ihm anfangs einfach so ihren Schrott vorbei, ohne vorherige Preisabsprachen: „Wir nahmen alles an: Immer her damit!“ Ein Handschlag reichte, um den Handel zu besiegeln, dabei schaute man sich in die Augen und der Handel galt. Zur Monatsmitte kam der Durchschnittspreis raus, dann wurde festgelegt, wie viel Mark es pro Tonne gab. Zu Streit sei es hinterher nie gekommen. „Und wir waren flink. Meine Frau stellte damals die Lieferscheine aus und tippte Rechnungen. Bei Gutschriften gab es sofort einen Scheck.“ Dank der Beteiligung von Dr. Arend Oetker war die RHM stets liquide. Das brachte ihr einen guten Ruf ein. Anlieferer passieren diverse Schrotthändler, bevor sie das Tor der RHM erreichen. Aber weil diese damals ihr Lager lange geöffnet hielt, länger als ihre Mitbewerber, rollten viele Lkws an denen vorbei. Dazu kam, dass die RHM eine Zeit lang freitags rote Rosen an die Fahrer verschenkte, so dass diese bei der Heimkehr etwas für ihre Frauen dabei hatten. „Nach und nach nahmen wir dem Thyssen Konzern rund sechzig Entfallstellen ab,“ berichtet Klaus Gehring, um nach kurzer Überlegung zu ergänzen: „Beziehungsweise behielten wir sie von der SMR. Zur Erinnerung: Wir waren eine neue Firma, die anfangs keiner kannte! Aber eine mit riesengroßer Schnauze.“
Bagger, Baumaschinen, Lkw – jedes Gerät, was sie anfangs gebraucht hätten, gab es nicht auf dem Markt. Nach der Wiedervereinigung ging alles zum Aufbau in den Osten. Die Lieferfrist betrug zwei Jahre und mehr. Also wurde mit Unterstützung benachbarter Handwerksbetriebe viel improvisiert. „Unser Untermieter besaß zwar Lkws, aber keine Container“, schildert Klaus Gehring die damalige Lage, „also kauften wir welche, um die Kunden bedienen zu können. Für unseren ersten eigenen Laster besorgten wir einen umgebauten Zirkuswagen – Baujahr 1950 – als Anhänger.“ Ein Fahrzeugbauer aus Duisburg schweißte Metallplatten drauf. Mit diesem zwanzig Meter langen Zug ging es dann im Schritttempo über die Berge und durch den Westerwald nach Hessen, um Gießereien zu beliefern. Auch zwei Bagger mit langem Stiel erwarb die RHM. Einer hatte Straßenzulassung und brachte es auf Tempo 10 km/h. Den hätten sie über die Straße zu Siemens losgeschickt, flachst Gehring, um vierzig Tonnen Nutzeisen zu verladen. Spontan fällt ihm eine weitere Geschichte ein: Um die Großschere aufzustellen, musste der Hof geräumt werden. Tonnenweise Schrott kam auf einem Platz in Sichtweite zur Schrottinsel, also genau vor die Nase des Marktführers. Dort türmte sich nach und nach ein Riesenberg. Als nach Monaten die Baugenehmigung erteilt wurde und die Schere endlich stand, lag der Schrottpreis um 40 Mark die Tonne höher und glich komplett die Kosten fürs Auslagern und die Rückholung aus.
Neben den Erinnerungen an heitere Momente auf dem Platz liegen aber auch bittere. Die Arbeit auf dem Platz ist hart, einige von Gehrings Kollegen schieden vorzeitig aus: „Wer dort herumläuft, hat keine Angst, sich nass oder schmierig zu machen. Zum Glück tat sich einiges in Puncto Arbeitssicherheit.“ Den ohrenbetäubenden Lärm dämmen nun Ohrstöpsel. Sie absorbieren die Spitzenwerte. Auch vor der Hitze und den Abgasen des Brenners sind die Arbeiter heute besser geschützt. Trotzdem bleibt der Schrottplatz ein riskanter Arbeitsplatz. Tiefes Mitgefühl packt Klaus Gehring bei der Erinnerung an den Unfall seines Chefs während der Aufbauphase: „Wir verluden Schrott in einen Schubleichter. Udo Meynerts wollte zur Kontrolle von der Kaimauer rüber auf den Pott, als die Leiter ins Rutschen kam und er in die Kaimauer sprang. Rund ein halbes Jahr saß er mit gebrochenem Bein arbeitsunfähig daheim herum!“, ruft Gehring aus und die Vorstellung einer so langen Auszeit bewegt ihn zu einem Bekenntnis: „Mir macht die Arbeit bei der RHM einen Riesenspaß. Bei drei Wochen Urlaub wirst´de halb wahnsinnig – ich jedenfalls.“
Autorin: Daniela Mett
Freie Journalistin
Die freie Journalistin ist als Reporterin für Lokal- und Regionalmedien tätig, erstellt Blattkonzepte, produziert und moderiert eigene Sendungen.
Fotos / Bildnachweise
- Büro Gehring: Kai Steinmüller
- Foto Gehring: Fotoarchiv RHM