Das Ruhrgebiet
Eine kurze Einführung in seine Geschichte
Rund 4.500 Quadratmeter Fläche und über 5 Millionen Bewohner. Der größte Ballungsraum Deutschlands mit einer Dichte an Hochschulen, Theatern, Museen und vielen weiteren kulturellen Einrichtungen, die in Deutschland ihres Gleichen sucht. Das ist das Ruhrgebiet heute. Eine Region, die weder naturräumlich noch politisch als eine Einheit zu definieren ist.
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde innerhalb weniger Jahrzehnte aus einer beschaulich bäuerlichen, dünn besiedelten Region die größte Industrielandschaft Europas. Die entscheidenden Veränderungen fanden zwischen 1870 und 1914 statt. In einem Maße, wie es in Bezug auf Umfang und Intensität vergleichbar nur wenigen Regionen in Europa widerfahren ist, wurde die Region vom Bergbau und der Eisen- und Stahlindustrie geprägt.
Die Gestaltung der Landschaft folgte den Produktions- und Verwertungsinteressen der Montanindustrie. Sie geschah weitestgehend ohne kulturelles Leitbild und quer zu den historischen Landschaften. Es gab weder Landschafts- noch Stadtplanung. Bezugspunkt der Entwicklung waren die Lagerstätten der Steinkohle. 1860 lag die jährliche Fördermenge bei 4,2 Millionen Tonnen. Innerhalb von zehn Jahren verdreifachte sie sich. Bis zur Jahrhundertwende stieg sie an auf 60,1 Millionen Tonnen. Die ebenso rasch wachsenden Betriebe benötigten immer mehr Arbeitskräfte und lösten mit ihrer Nachfrage eine „kleine Völkerwanderung“ aus. Entsprechend wuchs die Bevölkerungszahl von 400.000 im Jahr 1850 auf 3,8 Millionen Menschen im Jahr 1925.
Geprägt durch die Schwerindustrie
Entsprechend ist die Region aus der Binnen- und der Außenperspektive ein durch die Schwerindustrie geprägter, definierter und zu verstehender Raum. Das manifestiert sich bis Anfang des 20. Jahrhunderts in der Bezeichnung „Rheinisch-Westfälischer Industriebezirk“.
Die traditionellen Landesteile Rheinland und Westfalen markierten den Raum. Die Schwerindustrie prägte ihn. Erst ab den 1920er Jahren etabliert sich die heute gängige Bezeichnung Ruhrgebiet. Sie betont eine neue Eigenständigkeit und ein neues Verständnis der Region. Ihre energie- und wirtschaftspolitische Bedeutung, ihr hohes Potential für technischen Fortschritt und ihre starke Leistungsfähigkeit traten neben das Image einer stark belasteten und nahezu kulturfreien Landschaft.
Über die Landschaft hinaus dominierte die Omnipräsenz von Zechen und Fabriken und ihre enge Verzahnung mit Wohnquartieren auch das Leben, den Alltag der Menschen. Schwere körperliche Arbeit in den Bergwerken in bis zu tausend Meter Tiefe, bei schlechter, mit Kohlestaub gefüllter Luft und in engen niedrigen Gängen, immer verbunden mit der Gefahr von Gasexplosionen unter Tage, taten ein Übriges. Die Arbeit in der Eisen- und Stahlindustrie wies vergleichbare Belastungen auf: Arbeitsschichten von zwölf Stunden, dazu die Hitze der Hochöfen von Gießereien oder im Stahlwerk sowie der gefahrvolle Umgang mit großen Mengen glühender Massen und Werkstücken.
Industriekultur als Markenzeichen
Mit dem zu Beginn der 1960er Jahre einsetzenden Strukturwandel änderte sich das Image. Das Ende des Steinkohlebergbaus samt Rückgang der schwerindustriellen Prägung der Region bewirkten einen Wandel im Selbstverständnis der Region. Bei allen Belastungen hatte die Schwerindustrie Identifikationsmöglichkeiten geboten, die nun wegfielen. Insbesondere die Tradition des Bergbaus entwickelte sich zu einem neuen Identifikationsangebot für das Ruhrgebiet. Und zwar trotz der von ihm geschlagenen Narben und Nachwehen wie z.B. der Bodensenkungen oder der Notwendigkeit, auf Ewig das Grubenwasser abpumpen zu müssen, um eine Überflutung der Region zu verhindern. Die Bewahrung baulicher Zeugnisse der Montanindustrie und ihre Einbettung in zeitgemäße Konzepte sind Zeichen eines für das Ruhrgebiet typischen permanenten Transformationsprozesses. Mit der Wiederentdeckung der Industriekultur konnten nicht nur mentale Verluste kompensiert werden, sie schuf auch neue Identifikationskerne und ist zu einem werbewirksamen Markenzeichen der Region geworden. Die über nostalgische Rückblicke weit hinausgehende kritische Auseinandersetzung mit dem industriellen Erbe hat für das Revier und seine Bewohner einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung eines neuen Selbstverständnisses geleistet und leistet ihn noch. Dazu hat auch – einzigartig in Europa – die sozialverträgliche Abfederung der Schwerindustrie insbesondere im Bergbau beigetragen. Auch wenn der auf Dauer zu spürende massenhafte Verlust von Arbeitsplätzen in der Schwerindustrie nicht durch neue Stellen z.B. im Gesundheitswesen, in der Logistik und der Digitaltechnik aufgefangen werden konnte.
Autor: Dr. Frank Kerner
Stellvertretender Direktor des Ruhr Museums
Dr. Frank Kerner, ist stellvertretender Direktor des Ruhr Museums. Er leitet die Abteilungen Ausstellungen, Depots und Industrie- bzw. Zeitgeschichte. Als leitender Kurator ist er an zahlreichen Ausstellungen und den dazu erscheinenden Katalogen beteiligt.
Fotos / Bildnachweise
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- Dr. Frank Kerner: Ruhr Museum